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BÉLA BARTÓKS „DER WUNDERBARE MANDARIN“ UND „DER HOLZGESCHNITZTE PRINZ“

  • mit zahlreichen Notenbeispielen
2018-11-08T16:53:22+01:00
vom 19.10.2012|

Der Musikwissenschaftler Dr. Daniel Lebon hat Bartóks Handlungsballette untersucht

Die Gattung Ballett ist in der Musikwissenschaft bisher eher stiefmütterlich behandelt worden, sogar die Tanzwerke von Beethoven oder Mozart wurden bislang kaum thematisiert. „In einem Seminar an der Universität habe ich Béla Bartóks Ballette kennengelernt und sie avancierten schnell zu meinen absoluten Lieblingsstücken dieser Gattung“, beschreibt der Musikwissenschaftler Daniel Lebon seine besondere Beziehung zu den Balletten „Der holzgeschnitzte Prinz“ und „Der wunderbare Mandarin“.

„Beide Ballette gehören zur Gattung des pantomimenbetonten Handlungsballetts, also zu einer Gruppe von Balletten, bei denen der pantomimische Anteil stärker gewichtet ist als der tänzerische“, erklärt Lebon. Die enorme Vielfalt kompositorischer Techniken, die hier eingesetzt werden, um die Handlung zu erzählen und voranzutreiben, fordert geradezu eine musikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Werken heraus. „Mit meiner Arbeit möchte ich sowohl Zuschauern als auch Choreographen die Möglichkeit offerieren, an der musikalischen Handlung teilzuhaben und diese zu erleben“, beschreibt Daniel Lebon die Zielsetzung seiner Analysen.

Der Holzprinz hilft seinem Schöpfer

„Der holzgeschnitzte Prinz“ spielt in Bartóks Gesamtwerk interessanterweise eine ähnliche Rolle, wie die Figur des Holzprinzen in der Handlung des Balletts. Die Marionette verhilft seinem Schöpfer, dem Prinzen, zu seinem Ziel, nämlich die Liebe der Prinzessin zu gewinnen.

„Bartóks einzige Oper „Herzog Blaubarts Burg“ konnte nur deshalb aufgeführt werden, weil Bartók später dieses Werk komponierte. So verhalf sein „Prinz“ der Oper erst zur Uraufführung – nur schickte Bartók hier keine Marionette vor, sondern ein wahres Meisterwerk“, erläutert Lebon.

„Dirnen- und Zuhälterstück mit Orchestertamtam“

So berichtete die Presse vom denkwürdigen Skandal der Kölner Uraufführung des Balletts „Der wunderbare Mandarin“ im Jahr 1926. Die Geschichte eines Mädchens, das von drei Strolchen (Apachen) gezwungen wird Männer in ein ärmliches Vorstadtzimmer zu locken, damit diese dort ausgeraubt werden können, wurde im katholischen Köln wohl als so anstößig empfunden, dass der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer weitere Aufführungen der Tanzpantomime kurzerhand verbieten ließ. Die Kompromisslosigkeit des Werkes führte beim Publikum zu ähnlicher Verstörung wie 1913 die Aufführung von „Le Sacre du printemps“, von Igor Strawinsky in Paris.

Paris ist auch der Handlungsort des „Mandarin“ und in den ersten Minuten ist man umgeben von schrecklichem Lärm – und genau das war Bartóks Intention. „Bei seinem ersten Besuch in Paris (1905) war Bartók, der in ländlichen Gegenden aufgewachsen war, von diesem imposanten Lärm dermaßen beeindruckt, dass er nicht nur versuchte, diesen sofort in Notenschrift festzuhalten, sondern die musikalische Darstellung des Straßenlärms auch viele Jahre später seinem zweiten Ballett voranstellte“, beschreibt Daniel Lebon die Entstehungsgeschichte – mit Bartóks Worten „ein Höllenlärm, Gerassel, Geklirr, Getute“.

Nicht nur Bartók spricht von Apachen, wenn er die Handlung des Stückes beschreibt. Es war vielmehr eine damals übliche Bezeichnung von Personen, die sowohl mit Verbrechen als auch Prostitution in Verbindung gebracht werden konnten.

Von der Zensurliste ins Konzertprogramm

Da die Ballette lange auf Zensurlisten standen, wurden sie bis zur Zeit des Kalten Krieges kaum gespielt oder aufgeführt. Erst seit Mitte der 50er Jahre wird der „Mandarin“ fast jährlich neu inszeniert und auch „Der holzgeschnitzte Prinz“ erfreut sich seitdem wachsender Beliebtheit. Die realistische Tonmalerei des Großstadtlärms von Paris, die musikalische Charakterisierung der Figuren und die musikalische Darstellung einer komplexen Handlung finden heute offenbar ein größeres Verständnis als zur Entstehungszeit. In seinem Buch beschreibt Dr. Lebon detailliert die eingesetzten Techniken: Instrumente, Themen und Motive, Intervalle, Skalen und Harmonik, Rhythmik, Dynamik und Tempo sowie musikalische Charaktere. Zudem werden auch balletttypische Techniken, wie die „musique parlante“ oder das „air parlant“ besprochen. „Bei der ‚musique parlante‘ beispielsweise zeichnet der Komponist phonologisch-phonetische Aspekte der Sprache nach, damit ein Dialog auch ohne Worte verstanden werden kann. Ein Frage-Antwort-Komplex lässt sich beispielsweise leicht an der Stimmhebung am Ende der Frage und der Stimmsenkung am Ende der Antwort erkennen; verwendet der Komponist bei Frage und Antwort zudem dasselbe musikalische Material, versteht jeder diese Allusion“, beschreibt der Autor eines der handlungsanalogen Stilmittel. Zudem gibt es bei Bartók aber auch genuin neue Techniken. Sie sind insbesondere auf der Ebene der Intervalle, der Harmonien und der Skalen zu finden. Tatsächlich kann der Hörer der Musik weitaus mehr an Handlungsinformation entnehmen, als dies bei anderen Handlungsballetten der Fall ist. Diese konsequente Handlungsanalogie der Musik stellt Dr. Lebon in einer sehr anschaulichen Zusammenstellung dar, in der den Regieanweisungen Beschreibungen des jeweiligen musikalischen Geschehens zugeordnet werden. Weit über 100 Notenbeispiele veranschaulichen Motive, Variationen und kompositorische Techniken. So gilt „Der wunderbare Mandarin“ zurecht als das komplexeste Werk von Béla Bartók, in seiner musikalischen Dichte ist es kaum zu übertreffen. Lebons Buch führt den Leser anschaulich durch diesen Mikrokosmos.

Vor allem für die Tanzsprache prägend

Zwangsläufig stellt sich die Frage, inwieweit die Ballette stilprägend auf andere Komponisten oder Kompositionen gewirkt haben. „Meines Erachtens nicht, zumindest nicht, was die Gattung Ballett betrifft. Dass Bartóks „Mandarin“ von ungarischen Komponisten, etwa György Kurtág oder Peter Eötvös, definitiv studiert und rezipiert wurde, ist belegbar. Da die Ballette lange auf Zensurlisten standen, wurden sie aber bis zur Zeit des Kalten Krieges kaum gespielt oder aufgeführt. Die eigentliche Rezeption von Bartóks Balletten ist im Tanz zu suchen. Der Choreograph Aurel von Milloss entwickelte für die 1942er Aufführung des Mandarins in Mailand sogar eine vollkommen neuartige Choreographie mit einer ganz neuen Tanzsprache“, so Dr. Daniel Lebon abschließend.

Buch: Daniel-Frédéric Lebon: Béla Bartóks Handlungsballette in ihrer musikalischen Gattungstradition, Verlag Dr. Köster, Berlin, 2012, 396 Seiten, 29,80 €, ISBN 978-3-89574-810-3

5.530 Zeichen (ohne Leerzeichen). Abdruck honorarfrei – um ein Belegexemplar bzw. Link wird gebeten. Interviews mit dem Autor sind auf Anfrage über den Verlag möglich.

Über den Verlag Dr. Köster

Der Verlag Dr. Köster wurde 1994 von Dr. Hans-Joachim Köster in Berlin gegründet und veröffentlicht wissenschaftliche Schriften u.a. auch der Kulturwissenschaften. Verlagsschwerpunkte sind unter anderem die renommierten Buchreihen zur Sicherheitspolitik, Zeitgeschichte und zu Geheimen Nachrichtendiensten.

Schlagworte: Béla Bartók, Der wunderbare Mandarin, Der holzgeschnitzte Prinz, Handlungsballett